Gut erinnere ich mich an einen Tag im Herbst 2019, als ich vor einem Kumpel die Hose runterließ. Natürlich nur sprichwörtlich, nämlich im Hinblick auf das, was ich die letzten Tage und Woche gefangen hatte. Ich war ehrlich, seine Folgefrage war direkt: Wieviel haust Du so beim Füttern rein? 20 – 30 Kilo? Mein Kumpel ging direkt davon aus, dass gute Ergebnisse nur durch massives Füttern zu erreichen wären. Ich war von seiner Annahme regelrecht schockiert, doch es wurde noch besser…
Pauschalrezept Boilieberg?
Denn er glaubte mir nicht mal, als ich ihm die von mir tatsächlich eingebrachte Futtermenge pro Woche verriet. Eindrucksvoll wurde mir an diesem Tag vor Augen geführt, dass massives Füttern schon ein beliebtes Pauschalrezept geworden ist. Dafür gibt es meiner Meinung nach zwei wichtige Ursachen:
- „Viel hilft viel“ wird mehr und mehr von Futtermittelherstellern und Teamanglern propagiert und dadurch natürlich auch häufig „blind“ nachgeahmt.
- Die auf Karpfen angelnde „Konkurrenz“ am Wasser wird nicht weniger. Angler neigen dazu, wie z.B. auch im Beruf oder Sportverein vorgelebt, in den Wettbewerb zu treten, um nicht auf der Strecke zu bleiben, also weniger erfolgreich zu sein, als unsere Mitstreiter. Bedeutet: Die Futtereimer müssen tendenziell natürlich voller sein als die der Mitangler.
Wenn alle abkippen
Betrachtet man diese zwei Punkte näher, wird deutlich, dass die sinnvolle Abstimmung der Futtermenge vor allem von „äußeren Einflüssen“ abhängig ist. Man orientiert sich am Vorgehen von „Experten“, ohne deren Gewässer oder Angelumstände zu kennen, und natürlich am „Erfolgsrezept“ anderer Angler an dem Gewässer, das man selbst beangelt. Getreu dem Motto: „Wenn XY mit Abschütten abgeräumt hat, wird das bei mir sicher auch funktionieren.“ Grundsätzlich ist dieser Ansatz auch nicht falsch, doch er funktioniert natürlich nicht, wenn mittlerweile mehrere Angler am See diese Taktik fahren. Dann kann man sich getrost sparen auch noch Futter in den See zu werfen. Ich würde mir sogar zwei Mal überlegen, unter solchen Bedingungen das Gewässer überhaupt zu beangeln. Nicht weil ich Konkurrenz fürchte, nein, weil die Fangaussichten einfach deutlich schlechter sind.
Taktik und Timing
Wir müssen also an stärker beangelten Gewässern eine andere Angeltaktik wählen, um Erfolg zu haben. Das funktioniert zu bestimmten Jahreszeiten, wie dem Frühling oder Sommer z.B. mit Instant-Taktiken ganz gut. Da wir die Fische gut lokalisieren und gezielt beangeln können. Im Herbst kommt man hingegen nur sehr bedingt, dauerhaft zum Erfolg, wenn man nicht kontinuierlich mit Futter arbeitet. Denn häufig ist die Lokalisierung der Fische zu dieser Jahreszeit deutlich schwieriger, da sie sich selten so lange in einer Wasserschicht aufhalten, wie es in der ersten Jahreshälfte der Fall ist. Die Pflege eines Futterplatzes bringt in der zweiten Jahreshälfte also grundsätzlich bessere Ergebnisse, denn wir konditionieren die Fische darauf, zur Nahrungsaufnahme in einem bestimmten Areal immer wieder vorbeizuschauen.
Lieber das Weite suchen
Für mich bedeutet dieser Sachverhalt eine rigorose aber auch logische Vorgehensweise: Ich verpisse mich! Ich meide im Herbst Gewässer, die stark beangelt, also entsprechend auch stark befüttert werden, gänzlich. Möchte ich unbedingt solche Gewässer z.B. wegen etwaiger Zielfische beangeln, tue ich das eben von April bis September.
Wann ist Futter Macht?
Gerne suche ich im Herbst Gewässer auf, die entweder:
- einen guten Fischbestand haben oder eine große Fläche haben, so dass der Futtereintrag mehrerer Angler sich nur bedingt negativ auswirkt
oder solche:
- an denen wenig, also nur unregelmäßig auf Karpfen geangelt wird. Hier kann ich mit Futter Akzente setzen. Spüren, dass Futter wirklich Macht sein kann.
Pauschal lässt sich die Frage nach der richtigen Futtermenge nie beantworten, doch mit Blick auf Angeldruck, Jahreszeit und Fischbestand bekommt man schnell ein gutes Händchen, wann es etwas mehr sein muss oder ein paar Händchen reichen. Ob ihr es glaubt oder nicht: Selbst an üppig besetzten Gewässern lassen sich mit relativ geringen Futtermengen gezielt die großen Fische ansprechen, vorausgesetzt man geht es richtig an. Glaubt ihr nicht? Ein konkretes Beispiel, wie man sowas anstellen kann, gebe ich im nächsten Bloodworm-Blog.
Volker Seuß
Autor
Volker Seuß
sucht nach der großen Freiheit an wilden Gewässern – egal ob an deutschen Flüssen wie Rhein und Nacker, Stauseen in Frankreich, Spanien oder Marokko, aber auch ganz fernen Zielen wie Schweden, La Gomera, Kanada oder Neuseeland. Zuhause sind es besonders unerforschte Baggerseen und Verbindungsgewässer in der Rheinebene, an denen er immer wieder riesige und dazu oft völlig unbekannte Fische fängt.
Volker Seuß steht seit vielen Jahren mit Naturebaits in enger Verbindung. Vor der Gründung von Carpzilla.de war er lange Zeit Teamangler, heute hält er die Szene mit informativen und unterhaltsamen YouTube Videos zu seiner Angelei auf dem Laufenden.